Da fährt man schon bewusst in der Nachsaison in den Urlaub, um dem ganzen Trubel allerorts zu entweichen und auf den Campingplätzen nicht im Charme einer Sardinenbüchse einquartiert zu werden oder seinen Platz noch untervermietet zu bekommen. Doch dann fährt man auf die schon häufig als sehenswert gelobte und gerade erst vor ein paar Tagen im Kommentar von Richi erneut empfohlene Insel Île de Ré und wähnt sich ganz plötzlich wieder in der Hauptreisezeit. Der einzige Unterschied liegt vermutlich im aktuell deutlich höheren Altersschnitt der Reisegäste, da die Familien mit schulpflichtigen Kindern natürlich alle zu Hause sitzen und allesamt voller Inbrunst für die nächste Mathearbeit büffeln. Schöne Grüße an die Luise an dieser Stelle.
So waren wir nicht wenig erstaunt als uns auf unserem anvisierten Platz für die Nacht bereits am Nachmittag ein abschreckender Aufsteller mit der Aufschrift „komplett“ entgegen lachte. In der festen Annahme, dass es sich dabei nur um ein Versehen handeln konnte und der Aufsteller vermutlich noch seit Ende August da stand und nicht aus dem Weg geräumt wurde, betraten wir die Rezeption. Wieder mal wurden wir freundlich in akzeptfreiem Deutsch begrüßt. Mit dem Hinweis, dass wir eigentlich drei Nächte bleiben wollten, öffnete sich uns dann doch noch die Tür für den allerletzten Notplatz des Geländes mit der Aussicht auf einen Umzug auf einen der richtigen Plätze am Folgetag.
Der Notplatz stellte sich dann sogar als recht komfortable Unterkunft heraus, da er direkt neben dem Boulefeld und einem kleinen Spielplatz mit zwei fest installierten Tisch-und-4-Hocker-Installationen gelegen war. So konnten wir unsere Möbel im Auto lassen und uns trotzdem zum Kochen und Speisen ein wenig ausbreiten, ohne schon im Wohnbereich des nächsten Wohnmobils zu sitzen. Die Exklusivität des Platzes währte aber leider nur bis zum nächsten Morgen. Dann stand auf einmal eine lange Schlange von Wohnmobilen vor unserer Schiebetür und wollte den auf der uns gegenüber liegenden Seite befindlichen Abwasserplatz benutzen. Als dann einer der Wohnmobilisten auf die Idee kam, seine Kloake an Ort und Stelle zu entsorgen, kam bei uns relativ prompt ein sehr deutlich ausgeprägter Brechreiz auf, den selbst ein beherzter Schluck aus der Würgengelflasche nicht nachhaltiger hätte herstellen können.
Kleine Frage aus purem Interesse an die Leserschaft mit Wohnmobilerfahrung: Wird an solchen offen liegenden Abwasserplätzen nicht nur das Abwasser vom Spülen und/oder Duschen entsorgt? Laufen für die Abwässer aus der Toilette nicht immer mal wieder leicht beschämt dreinblickende Herrschaften mit einer Art gräulichem Rollkoffer im Schlepptau über den Campingplatz, um sich an einem in der letzten Ecke hinter dem Sanitärgebäude blick- und vor allem geruchsdicht platzierten Séparée von diesem stinkenden Ballast zu befreien? Wie ist das? Gibt es Wohnmobile mit direkt nach unten entleerbarer Kloake?
In jedem Fall brachte uns diese olfaktorische Beeinträchtigung sehr schnell in die Gänge, so dass wir den glücklicherweise bereits frei gewordenen Platz für unserem Umzug ohne weitere Verzögerung beziehen konnten. Das Dach war mit zugehaltener Nase flugs eingezogen und der nun ungastliche Ort im Nu verlassen. So konnten wir dann genüsslich bei frischem Wind und herrlichem Sonnenschein in unser Frühstückscroissant beißen und den anderen fluchenden Notplatzbewohnern beim Warten auf das Freiwerden ihres richtigen Platzes zusehen.
Dank der vorherrschenden Windrichtung war während unseres Aufenthalts auf dem Campingplatz stets mäßiger bis auflebender Wind spürbar. Dieser veranlasste einen nicht nur dazu, die Butter auf dem Baguette sehr gewissenhaft in den frisch aufgeschnittenen Brotteig einzustreichen, um sie nicht von der Wand des benachbarten Wohnmobils kratzen zu müssen, sondern auch eine Kleidungsschicht mehr als eigentlich nötig zu tragen. Ein anderes Bild zeigte sich jedoch hinter der Düne am Strand. Dort war es nahezu windstill und in der Sonne ohne Schatten kaum länger auszuhalten, ohne dass einem der Schädel irgendwann auszudörren drohte. Da half dann nur die Abkühlung im Meer, das jedoch so kalt war, dass nur die ganz hartgesottenen Badegäste wie Jutta es schafften, ihre komplette Badebekleidung unter die Wasseroberfläche zu bugsieren. Wir anderen beobachteten dieses Schauspiel voller Ehrfurcht und wurden wenigstens vom Eiswasser an den Beinen und der frischen Brise am Oberkörper runtergekühlt. Allerdings zeigte sich der doch so wilde Atlantik die ganze Zeit über zahm wie ein frisch gebadetes Beast auf der Leine. Von tosenden Wellen und gefährlicher Brandung absolut keine Spur.
Die Île de Ré ist eine ausgesprochene Fahrradinsel. Diesen Eindruck muss man sich aber erst ein Stück weit erarbeiten. Bei der Ankunft mit dem Auto auf der Insel fallen einem zunächst die etlichen Fahrradverbotsschilder ins Auge, die an vielen der Hauptverkehrsstraßen aufgestellt sind. Bei näherer Betrachtung macht das aber auch Sinn, denn die Straßen mit Autoverkehr sind in der Tat deutlich zu schmal, um auch noch gefahrlos einen Radfahrer am Rand aufzunehmen. Stattdessen gibt es jedoch ein breit gefächertes eigenes Radwegenetz auf der Insel, auf der man wiederum in der Regel ungestört von nervigem Autoverkehr die Gegend erkunden kann. Erschreckenderweise wurden wir auf eine der Autostraßen sogar mit einem Radfahrer mit Kinderanhänger konfrontiert, der offenbar mit dem Leben seiner kompletten Familie schon abgeschlossen hatte.
Die separaten Radwege dagegen führen gerade am westlichen Ende der Insel entlang zahlreicher Salzfelder über Dämme und durch kleine Orte, dass es nur so eine Freude ist. Beinahe alle 100 Meter konnte man an kleinen unbemannten Verkaufsständen oder sonstigen einfachen oder aber auch schickeren Läden Salz in jeglicher Form und Packungsgröße oder sonstige regionale Produkte erwerben. Der einzige Nachteil dieser Fortbewegungsart war, dass spätestens bei der Rückfahrt der lebhafte Wind ein zügiges Vorankommen zumindest erschwerte. Die E-Bike-Dichte auf der Île de Ré ist womöglich auch dadurch nahe an der von Texel.
Kleine Frage aus purem Interesse an die E-Bike-fahrende Leserschaft: Lässt es sich in irgendeiner Form erklären, dass insbesondere die zumindest scheinbar im normalen Leben mit weniger Radfahrbegeisterung geschlagene Bevölkerung im Urlaub gerne auf elektrisch unterstützten Fahrrädern umherradelt, deren Sattelhöhe in keinster Weise den mir bekannten ergonomischen Weisheiten des Radfahrens überein stimmen? Der Sattel sitzt genau da, wo der Rahmen aufhört. Meine Mutter würden jetzt vermutlich sagen: Die sitzen ja wie ein Affe auf dem Schleifstein! Das muss doch vor allem wahnsinnig auf Knie und Rücken gehen. Sitzen diese Menschen dann abends in ihren Wohnmobilen und reiben sich die schmerzenden Glieder mit Franzbranntwein ein und schimpfen, dass diese neumodernen E-Bikes doch auch nicht das Wahre sind.
Unsere Bemühungen die Campingküche angesichts unserer ja nun schon seit einiger Zeit an der Atlantikküste entlang führenden Reiseroute etwas meeresaffiner zu gestalten, wurden leider schon im Keime erstickt. Die örtlichen Fischhändler, auf deren Expertise und vor allem Angebot wir bzgl. der richtigen Auswahl des richtigen Fisches gehofft hatten, waren unglücklicherweise nicht gewillt, sich an unseren Tagesrhythmus anzugleichen und schlossen ihre Geschäfte bereits zur Mittagszeit. So war es für uns natürlich unmöglich diese doch essentielle Zutat für ein entsprechendes Gericht an Land zu ziehen. Und auch das dürftige Angebot des Supermarktes konnte uns an dieser Stelle nicht überzeugen. Aber aufgeschoben ist ja bekanntermaßen nicht aufgehoben.
Die Verlängerung unseres Aufenthaltes auf dem Campingplatz um eine weitere Nacht gestaltete sich nach drei Übernachtungen als erstaunlich schwierig. Denn auch jetzt waren wir offenbar noch längst nicht in der Nachsaison angekommen. Unser Platz für die letzten zwei Tage war leider schon weiter vergeben, so dass wir doch noch ein weiteres Mal innerhalb des Campingplatzes umziehen mussten. So kamen wir bei insgesamt vier Übernachtungen auf drei verschiedene Stellplätze. Das nimmt fast schon Ausmaße des beliebten Stellplatzroulettes auf dem Camping Europa in Torbole an. Aber so konnten wir uns den Campingplatz von allen nur möglichen Blickrichtungen genauestens betrachten.
Den Nachmittag des zusätzlichen Tages verbrachten wir nochmal am Strand. Aus Ermangelung eines strandtauglichen Schattenspenders funktionierten wir kurzerhand unser kleines blaues Sonnensegel als Strandmuschel um, was tatsächlich erstaunlich gut klappte. So konnten wir es umso länger vor Ort aushalten und wurden Zeuge einer Vorführung des 25-fachen Surfweltmeisters Antoine Albeau. Er kam mit einem auffällig bedruckten Transporter direkt an den Strand gefahren, packte ein unscheinbar aussehendes Board aus dem Wagen, ging ein paar Schritte ins Wasser, warf das Board ins Wasser, schmiss sich selbst bäuchlings auf das Board, um kurze Zeit später stehend auf dem Board aus dem Wasser emporzusteigen und lediglich mit dem Foil unter Wasser endlose Runden zu drehen. Wie sich schnell herausstellte, handelte es sich bei dem Sportgerät um ein mit Elektromotor betriebenes Hydrofoil Surfboard. Spektakulär!
Am Abreisetag mussten wir leider feststellen, dass Jutta ihren Autoschlüssel nachhaltig verlegt hatte. Auch eine spontan durchgeführte intensive Suche quer durch viele der möglichen und mindestens ebenso viele unmögliche Stellen ergab jedoch keinen Erfolg. In ihrer Not durchkämmte Jutta sogar noch ohne Glück unseren Strandplatz vom Vortag. Der Schlüssel bleibt nach wie vor verschwunden. Es bleibt eigentlich nur noch die vage Hoffnung, dass der Schlüssel irgendwann an einem Ort, an dem man vermeintlich schon dreimal nachgesehen hatte, wieder auftaucht und die Tatsache, dass wir auf unseren verbleibenden Autoschlüssel nun besonders Acht geben sollten.
Statistik
Ü42: 17.09.2019 -> 18.09.2019 in La Couarde-sur-Mer (135.582 km)
Ü43: 18.09.2019 -> 19.09.2019 in La Couarde-sur-Mer (135.582 km)
Ü44: 19.09.2019 -> 20.09.2019 in La Couarde-sur-Mer (135.582 km)
Ü45: 20.09.2019 -> 21.09.2019 in La Couarde-sur-Mer (135.582 km)
Autoschlüssel haben die Angewohnheit erst wieder aufzutauchen wenn man sie teuer Ersatzbeschafft hat. Gerne auch in Technikkisten. Hoffen wir das eurer nicht diese schlechte Angewohnheit hat und sich früher wieder blicken lässt. Dann behütet den einsamen zurückgebliebenen gut. Gute Fahrt!
Ist der Schlüssel wieder da? Ich hatte den Womoschlüssel in der Schnüren- und Bändertasche aus dem Womo verschwinden lassen nachdem ich eine Schnur als Wäscheleine gesucht hatte. Zum Glück ist Niclas eine gute Schnüffelnase und hat selbst darin gesucht.