Vermeintliche Hotspots haben ja neben der Tatsache, dass sie in der Regel recht ansehnlich sind und sich häufig in traumhaft schöner Natur aufhalten, einen eklatanten Nachteil: Sie ziehen Unmengen von Besuchern an wie eine zu lange geöffnete Camperschiebetür bei eingeschaltetem Licht kurz vor dem zu Bettgehen das Ungeziefer. Nichtsdestotrotz waren wir fest entschlossen die Abtei Mont Saint-Michel zu besichtigen, die vermutlich in keinem Reiseführer dieser Welt noch als Geheimtipp geführt wird. Dank eines unter vornehmlich logistischen Gesichtspunkten optimierten Anreiseplans hatten wir nur noch einen Katzensprung bis zu unserer Bleibe für die kommende Nacht. Frei nach dem Motto: Der frühe Vogel bekommt den schönsten Platz auf dem Gelände!

Die Bretagne empfing uns jedoch nach wie vor mit bedecktem Himmel. Vereinzelt fielen auch ein paar Niederschläge in Form von weiteren feinen Nieselregen wie schon am Abend zuvor. Dennoch verzagten wir nicht und quartierten uns zur späten Mittagszeit auf dem Campingplatz in Courtils ein. Wieder wurden wir von einer netten englisch sprechenden Empfangsdame begrüßt. Was ist nur aus all den sorgfältig gepflegten Klischees geworden bzgl. der Fremdsprachenfaulheit der Franzosen? Man kann sich auf gar nichts mehr verlassen. Die Welt steht Kopf und keiner will es gewesen sein. Aber wir konnten uns aus einer Vielzahl noch verfügbaren Plätze einen sehr schönen heraussuchen. Fast wie zu Hause wurden wir sogleich von etlichen gurrenden Tauben begrüßt. (Jutta schiebt schon so ’ne Krawatte…)

Freie, aber nasse Wahl

Angesichts der frühen Ankunftszeit sattelten wir kurzerhand die Räder und machten einen Ausflug zur nächstgelegenen Boulangerie in fünf Kilometern Entfernung. Ein Nachmittag in Frankreich ohne französisches Gebäck ist ja nun wirklich ein verlorener. Doch diesen Nachmittagssnack mussten wir leider sehr teuer erkaufen. Gerade als wir uns auf den Weg zurück zum Campingplatz machen wollten, wurde Jutta von rechts von einer aggressiven in den Radweg hineinragenden baumstammdicken Holzschranke angegriffen und mit lautem Getöse in den Schmutz geworfen. Unfassbar! Hinzu kam noch, dass sich die Schranke in aller Niedertracht in Holztönen gut getarnt vor der leicht verwitterten Steinbalustrade und dem sandig-steinigen Kiesradweg nicht so recht abheben wollte. Mit der einen oder anderen Schürfwunde nebst diversen blauen Flecken und einer schmerzenden rechten Gesichtshälfte dank des formvollendeten Bauchklatschers eierten wir dann doch zum Platz und legten erstmal eine kleine Verschnaufpause ein.

Dass es doch noch ein schöner Tag wurde, lag an zweierlei Dingen. Zum einen an der Tatsache, dass wir uns trotzdem entschieden, unseren vorher ausgeklügelten Plan umzusetzen, und zwar quasi antizyklisch zum gemeinen Besucherstrom, gegen Abend nochmal mit dem Rad den berühmten Berg in Angriff zu nehmen. Zum anderen lockerte dann auch noch die Bewölkung auf und wir wurden mit einem wunderbaren Sonnenuntergang belohnt. Zudem ist ab 18:00 Uhr auch das Befahren des Damms zum Berg mit der Abtei erlaubt, so dass wir bis direkt zum Fuße des Berges radeln konnten und nicht einen der teuren Touristenbusse mit all den unzähligen Japanern und ihren Selfiesticks nehmen mussten.

Verglichen mit den Bildern vom Mont Saint-Michel mit seinen von Menschenmassen überfüllten kleinen Gässchen waren wir zur abendlichen Stunde quasi alleine unterwegs. Hier und da quälten sich einige Jungs ab, um das schwere Gepäck der japanischen Touristinnen die Treppen hinauf zu ihren Quartieren in den Hotels direkt auf dem Berg zu bugsieren. Ansonsten waren eigentlich nur noch versprengte kleine Grüppchen von Besuchern unterwegs. Ganz im Gegenteil zu den unglaublich großen Schwärmen von Staren, die uns urplötzlich an einer Ecke entgegen kamen. Wie aus dem Nichts steuerten auf einmal haufenweise laut schimpfende Stare auf uns zu, um dann geradezu vogelwild kurz vor uns kreuz und quer auseinander zu flattern. Dieses atemberaubende Schauspiel wiederholte sich einige Male hintereinander. Und zwischendrin zwitscherte es auf dem ganzen Berg wie in einem opulent ausgestatteten Vogelpark.

Wer die Harry Potter Filme gesehen hat, konnte unweigerlich die Eindruck bekommen, dass die Filmemacher bei der Visualisierung der berühmten Winkelgasse ganz ohne Frage im Vorfeld genau hier am Mont Saint-Michel ihre Recherchen unternommen haben müssen. So viele verwinkelte kleine Gässchen, manche kaum Schulterbreit, mit Treppenstufen in alle Himmelsrichtungen, dass man sich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass einem im nächsten Moment Hermine Granger mit gezücktem Zauberstab über den Weg laufen würde.

Die Winkelgasse
Ölf sitzt lässig oberhalb der Winkelgasse
Die Winkelgasse von oben nochmal aus anderer Perspektive
Schmale Gasse hinauf
Sehr schmale Gasse wieder hinunter
Impressionen

Obendrein wurden wir an einer Ecke des Rundgangs über den Berg von einer kleinen Gruppe von vielleicht fünf französischen christlichen Pfadfindern oder ähnlichem mit anmutsvollem Gesang unterhalten. Eine unglaublich stilvolle musikalische Untermalung bei beginnendem Sonnenuntergang, die die Stimmung vor Ort nochmal mehr unterstrich. Da störte es auch nur ein ganz kleines bisschen, dass unsere antizyklische Vorgehensweise leider auch dazu führte, dass die Abtei selbst nicht mehr besichtigt werden konnte. Aber wenn man sich entscheiden muss zwischen einer ewig langen Schlange inklusive Herumdrücken in den engen Gassen vor einer dunklen Kirche oder dem freien Aufatmen bei der Besichtigung eines imposanten Monuments inklusive spektakulärer Abenddämmerung, dann fällt zumindest mir die Wahl nicht schwer.

Nachdem wir den Berg eingehend besichtigten, zögerte sich der Heimweg noch ein wenig heraus, da wir in der Hoffnung auf ein weiteres stimmungsvolles Bild zur blauen Stunde mit künstlich angestrahltem Berg samt Abtei eine Weile auf dem immer leerer werdenden Damm ausharrten. Während die rote Sonne langsam am Horizont unterging und tatsächlich irgendwann der eine oder andere Scheinwerfer eingeschaltet wurde, wurde es aber auf der einen Seite natürlich zunehmend dunkler, auf der anderen Seite aber auch immer frischer. Wir befinden uns ja schließlich auch schon mitten im September.

Sonnenuntergang mit Berg

Als wir uns dann doch endlich aufrafften, machten wir noch einen Schlenker durch das touristische Epizentrum direkt vor dem Damm zum Mont Saint-Michel, den wir auf dem Hinweg noch von der Seite geentert hatten, um an diesem Trubel vorbei zu gelangen. So verlassen zu später Stunde machte die Gegend einen recht skurrilen Eindruck. Hier und da schlenderten noch vereinzelt ein paar Leute umher zwischen leergefegten Restaurants, einsam abgestellten Reisebussen und gefühlt Hunderten von mit bunten Leuchtreklamen in Szene gesetzten Hotels. Und nirgendwo war auch nur im Ansatz eine Pommesbude zu finden.

So mussten wir ohne anständiges Abendbrot die knapp zehn Kilometer lange Rückfahrt in mittlerweile doch respektabler Dunkelheit antreten. Zu unserem Glück war der Himmel wolkenlos und der beinahe volle Mond erhellte die einsame Landstraße doch erheblich. Im Gegensatz zu der Verkehrslage tagsüber auf eben dieser Landstraße war so spät abends dankenswerterweise nicht mehr so viel los. Trotzdem beschleunigten wir nochmals den Anschlag als sowohl Juttas Frontlicht als auch mein Rücklicht den Betrieb einstellten. Bei Ankunft am Platz hatten wir noch die vage Hoffnung auf eine warme Speise in der Bar der Rezeption. Doch als wir neben zwei nur mit Badehose bekleideten älteren Herren in der Bar nichts erkennen konnten, was auf einen appetitlichen Ausklang des Abends an dieser Stelle schließen ließ, einigten wir uns darauf, dass auch ein kaltes Bockwürstchen mit Kartoffelcreme eine ausgewogene Mahlzeit darstellen kann.

Am nächsten Morgen. Wer von Euch kennt das Szenario nicht, dass man bei Dingen, die versehentlich hinter den Kühlschrank gefallen sind, erstmal gut überlegen muss, ob es sich jetzt wirklich lohnt, diesen Riesenaufriss zu betreiben, den schweren voll beladenen Kühlschrank von der Wand abzurücken und dahinter in Staubflusen, Spinnweben oder sonstigem Gekröse nach dem verschollenen Exponat zu fischen? Da es sich aber in unserem Fall um mein superschlankes und offenbar seltsam gleitfähiges Telefon handelte, war die Notwendigkeit des Abrückens des Kühlschranks sehr schnell abgewogen. Doch dank der genialen Konstruktion des Spacecampers war die zweiteilige Rückbank in Sekundenschnelle ausgebaut und dank des von mir in weiser Voraussicht eingepackten und gut bestückten Werkzeugkoffers war auch der Kühlschrank relativ schnell freigelegt und soweit angekippt, dass man das verlustig gegangene Telefon problemlos wieder hervorangeln konnte.

…und schwupp-di-wupp ist der Kühlschrank frei gelegt

Zu guter Letzt noch der Hinweis an alle, die sich schon immer mal gefragt haben, was denn der Weihnachtsmann den ganzen langen Sommer über so treibt, wenn gerade keine Saison ist. Wir können festhalten, dass der gute Mann mit seinen Schlittenhunden ganz offensichtlich durch Nordfrankreich tourt und mit seiner Frau und einem Wohnwagen in einem Auto mit Bad Segeberger Kennzeichen reist. Der Zauber der Weihnacht ist hoffentlich durch diese Information bei niemandem gefährdet.

Aus Gründen der Verschwiegenheit ist es uns leider nicht möglich, die Quelle zu nennen, aus der uns dieses Bild vom Weihnachtsmann zugespielt worden ist. Es handelt sich halt um eines der wenigen existierenden Fotos vom Weihnachtsmann in zivil!
Statistik

Ü37: 12.09.2019 -> 13.09.2019 in Courtils (134.964 km)

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