Auch der schönste Urlaub geht irgendwann mal zu Ende. So mussten wir uns eines morgens tatsächlich eingestehen, dass der Abfahrtstermin unserer im Voraus gebuchten Fähre bedrohlich nahe gerückt war. In den letzten zwei Wochen hatten wir ja dank des vermiedenen Ortswechsels genügend Gelegenheit, uns über unser kleines abgestecktes Areal immer weiter auszubreiten. Nun mussten wir endlich dieses entstandene Chaos beseitigen und wieder in unserem Spacecamper verstauen. Im Vergleich zu den alten Tagen, in denen wir noch ein großes Familienzelt einpacken mussten, waren wir aber in Windeseile abfahrtsbereit. Sogar ein entspanntes Frühstück konnten wir einstreuen, ohne dass Hektik aufkeimen konnte.
Als dann Jutta im Stile eines Wüstenrallyepiloten ansatzlos aus unserer mit tiefem Sand und einigen Baumwurzeln gespickten kleinen Parzelle, die die letzten 14 Tage unsere Heimat ausgemacht hatte, herausfuhr, waren alle hellauf begeistert. Das hatten wir uns wirklich deutlich schwieriger vorgestellt. So war aber auch noch ausreichend Zeit, um das Motorboot an Land zu ziehen. Das war mit unserem wendigen kleinen Bulli natürlich viel schneller gemacht als mit dem großen Wohnmobil. Ute und Gerd blieben zwar noch knapp zwei Tage länger, aber Gerd wollte lieber in Ruhe alles zusammenpacken.
Die 140 Kilometer lange Fahrt zur Fähre nach Bastia verlief auch dank der neu untertunnelten Kreisverkehre vor den Toren der nordkorsischen Hauptstadt problemlos. Am Samstag Nachmittag war weder viel Verkehr auf den Straßen noch hinderten uns platt gefahrene Reifen an der Weiterfahrt. Wir waren dadurch so früh am Hafen, dass ich sogar noch den schändlich begangenen Fehler beim Einkauf von fast schon abgelaufenen Mini-Berlinern korrigieren konnte.
Die Kontrolle am Hafen führte dieses Mal ein alter, etwas knitterig ausschauender, dünner Mann durch, bei dem man Sorge hatte, dass er beim nächsten Windzug ins Hafenbacken gepustet werden könnte. Er lief mit einem Spiegel bewaffnet einmal um das Auto herum, um sich das Bodenblech des Campers näher anzuschauen. Nach einem kurzen Blick ins unaufgeräumte Innere des Autos zog er von dannen. Wiederum würdigte keiner den neu erstandenen provisorischen Ausweis von Jutta eines Blickes.
Wie schon auf der Herfahrt waren wir froh, unsere Klappbodenstühle dabei zu haben. So konnten wir unseren Platz an Deck frei wählen und fuhren in einen herrlichen Sonnenuntergang hinein. Nach guten drei Stunden und ein wenig Stau im Hafenbecken von Livorno hatten wir wieder festen Boden unter den Rädern. Abenteuerlich war aber erneut wie unterschiedlich sich die Menschen auf einem Parkdeck einer anlegenden Fähre verhalten. Bei gefühlten 48 Grad und einem Frischluftanteil von vielleicht 3 Prozent, werfen viele erstmal den Motor ihres Autos an, um zum einen die Klimatisierung ihres Wagens in Gang zu bringen und zum anderen bloß nicht zu verpassen, als Erster von Bord zu kommen. Andere fangen an, ihr komplett zugeparktes Auto zu rangieren, um die entscheidenen Millimeter vor dem Nebenmann zu erringen. Die reinste Anarchie herrscht auf so einem Parkdeck.
Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit suchten wir mit der Ausfahrt aus dem Hafengelände nach einem geeigneten Schlafplätzchen für die Nacht. Ein ruhiger Platz, auf dem wir nicht gestört werden und auch wir niemanden stören. Mit Blick auf die Landkarte nahmen wir ein als Naturpark bezeichnetes Revier in der Nähe von Pisa in näheren Augenschein. Vielleicht hätten wir die ersten Anzeichen deutlicher lesen sollen, aber wir dachten uns zunächst nichts bei der Tatsache, dass an einer Tankstelle zwischen Autobahnausfahrt und Abzweig in den Park einige sehr grell und sehr knapp bekleidete Damen auf sehr hohen Schuhen herumliefen.
Auch den nächsten Hinweis direkt beim Abzweig ließen wir verstreichen. Dort standen mitten auf einer Verkehrsinsel wenigstens drei offenbar sehr erhitzte Damen. Eine davon schien sich trotz der Abwesenheit der italienischen Nationalmannschaft bei der aktuell stattfindenden Fußballweltmeisterschaft sehr sorgfältige Gedanken über ihre Kleiderwahl gemacht zu haben. Warum sie sich dennoch für den recht knappen Badeanzug ihrer kleinen Schwester im schwarz-weißen Lederfußballdesign entschied, ist uns ein Rätsel. Ihre geradewegs grotesk aufgeplusterten Brüste quollen quasi unter dem viel zu kleinen Stoff hervor. Fußbälle sind halt dieser Tage in Italien schwer zu bändigen.
Immer weiter fuhren wir in den nun stockdunklen Naturpark hinein. Nach schier endlosen Kilometern erreichten wir irgendwann eine Art Promenadenstraße mit ausreichend Parkmöglichkeiten zu beiden Seiten. Auf der Seeseite befanden sich zudem noch einige Restaurants, die sich aber scheinbar schon deutlich geleert hatten. Als wir dann aber auch noch Häufchen von Glasscherben auf dem Boden sahen, die auf die eine oder andere eingeschlagene Autofensterscheibe hindeutete, hatten wir uns endlich doch gegen diese Örtlichkeit zur Übernachtung entschieden. Zur weiteren Orientierung hielten wir kurz am Straßenrand an. Falls wir nun doch noch einen klitzekleinen Anstoß für die Entscheidung zur Weiterfahrt benötigt hätten, bekamen wir diesen prompt durch einen grauhaarigen älteren Mercedes-Fahrer. Gerade als wir den Motor ausschalteten, um zu überlegen, wo wir denn nun als nächstes hinfahren würden, fuhr eben jener Mercedes mit geringer Geschwindigkeit auf der straßenabgewandten Seite neben uns und hielt direkt auf unserer Höhe auf einem ansonsten komplett menschenleeren Abschnitt. Mit einem eiskalten Schauer auf dem Rücken ließen wir sofort wieder den Motor an und fuhren los, bevor wir zur Prostitution gezwungen oder als Drogenkuriere missbraucht werden konnten. Was für ein skurriler kleiner Ausflug.
Dieser Abstecher kostete uns dann aber auch mal eine knappe Stunde und noch immer hatten wir keinen Schlafplatz gefunden. Nach diesem lehrreichen Erlebnis fuhren wir aber noch ein gutes Stück weiter auf der Autobahn und erst weit in den Apuanischen Alpen versuchten wir erneut unser Glück. Im ersten Ort Pontremoli fanden wir noch kein adäquates Plätzchen. Also fuhren wir aus dem Ort hinaus und schauten rechts und links nach einem ruhigen Stellplatz. Die Straßen wurden immer kleiner und dunkler und nach kürzester Zeit fuhren wir kurvenreiche Bergsträßchen mit vielen Serpentinen hinauf, ohne auch nur einen ansatzweise vernünftigen Platz zu finden. Als die Straße wegen ihrer Schlaglöscher und Verwerfungen fast schon nicht mehr den Namen Straße verdient hatte, kamen wir in einem winzigen Ort an einem Parkplatz vorbei, den wir letztendlich weit nach ein Uhr nachts zu unserem Schlafplatz erkoren.
Da wir aber total harte Hunde sind, störte es uns auch überhaupt nicht, dass um diese nachtschlafende Uhrzeit an diesem einsamen Ort ein einzelnes Fenster oberhalb des Parkplatzes hell erleuchtet war. Man sah eine Silhouette am Fenster sitzen, die sich natürlich direkt nach unserer Ankunft zu uns gedreht hatte, um zu sehen, welcher frevelhafte Störenfried um diese Zeit dieses vermeintliche Idyll belästigt. Mir fielen bei diesem Bild sofort die Klischees eines schlecht gemachten Psychothrillers ein, in dem eine schrullige, entstellte Person einsam an einem Fenster zum Hof sitzt und so gar nichts für Fremde übrig hat…
Nach einer wider Erwarten ruhigen Nacht ohne gruselige Einsiedler, die nachts an unsere Fenster klopfen, erwachten wir zwar nicht wirklich ausgeschlafen, aber immerhin wieder fahrtüchtig hergestellt. Einer der Anwohner bot uns sogar noch seinen Wasseranschluss zur Erfrischung an. Was für ein nettes kleines Örtchen Casalina doch ist. Hier lässt es sich wunderbar übernachten, wenn die Anreise nur nicht so beschwerlich wäre. Bei Tage fanden wir dann relativ schnell unseren Frühstücksplatz am Passo del Cirone auf gut 1600 Höhenmetern. In völliger Einsamkeit mit einem schönen Blick auf beide Seiten der Passstraße, kochten wir unseren Kaffee und packten unsere Backwaren aus. Kaum hatten wir den ersten Schluck unseres frisch gebrühten Kaffees getrunken hielten auch schon die ersten Autos neben uns und eine Horde Wanderer entstiegen ihnen. Als wir dann endlich unser gemütliches Frühstück beendet hatten, waren etliche Wanderer über unseren Frühstückstisch gestiegen und wir waren beinahe komplett eingeparkt.
Über gewundene einsame Serpentinen durch die Berge näherten wir uns irgendwann wieder der Autobahn und nahmen den Rest unseres Heimwegs in Angriff. Kurz vor dem Gotthardtunnel machten wir noch eine kurze Verschnaufpause und stellten uns auf einen schattigen Parkplatz im sicheren Abstand zu einem Wohnmobil aus dem Emsland. Nach dem Beenden ihrer Pause setzten die Emsländer ihr Wohnmobil zurück aus ihrer Parklücke. Mit Blick auf diese Aktion dachte ich noch so bei mir, dass das dicke Gefährt unserem kleinen zarten Spacecamper aber bedenklich nahe zu kommen scheint. Im nächsten Moment machte es dann auch schon ein unangenehm knirschendes Geräusch und wir befürchteten schon ein jähes Ende unserer Heimreise. Als das Wohnmobil unter unseren lauten Schreien endlich zum Halten kam, konnten wir unsererseits nach dem ersten Schock glücklicherweise feststellen, dass lediglich der Fahrradgepäckträger angefahren war, sich aber nicht wesentlich in die Karosserie des Autos gefressen hatte. Die Räder selbst hatten diesen Kontakt auch unbeschadet überstanden, so dass wir zwar die Kontaktdaten der Übeltäter bekamen, sie aber doch guten Gewissens ziehen lassen konnten. So eine Rückfahrkamera gibt offenbar doch nur trügerische Sicherheit.
Im weiteren Verlauf sahen wir noch viele andere Autos, insbesondere bei der Blockabfertigung vor dem Gotthardtunnel. Als Entschädigung gab es dann aber bei der Familie unten einen leckeren Willkommensempfang mit Pizzatag zur Begrüßung. Nach einer insgesamt 29-stündigen Rückreise waren wir nun auch platt genug, um erschöpft ins Bett zu fallen und schon vom nächsten Urlaub zu träumen, den wir hoffentlich möglichst bald antreten können.
Statistik
Ü35: 29.06.2018 -> 30.06.2018 in Golfo di Sogno (99.113 km)
Ü36: 30.06.2018 -> 01.07.2018 in Casalina (99.414 km)
Ich bin ja froh, dass wir uns schon wieder gesehen haben. Sonst hätte ich mir nach dieser aufregenden Rückfahrt ernsthaft Sorgen um Euch gemacht. Straßenstr*** in Pisa … Tssss Tsss … Ich dachte, der Italiener hat kein Geld für Amore. Und, schrullige Gestalten hinterm beleuchteten Fenster. Wenn die auch noch „Norman“ gerufen hätte! Ich glaube, dann wäre es an der Zeit gewesen, sich mit dem größten aller WMF-Messer zu bewaffnen und ganz wichtig: nicht duschen zu gehen! Ein kapitaler Fehler, der Janet Leigh leider den Tod gekostet (bzw. eine zu kurze Hauptrolle in Psycho beschert) hat. Aber, wie sich die Zeiten ändern. Während man früher noch anständig gemeuchelt wurde, wird man heute einfach von einem Wohnmobil in den Abgrund geschoben.
Schön, dass Ihr wieder gesund zurückgekommen seid!